13/06/2021
Luigi Colani war nicht einfach nur ein Designer; er war eine Naturgewalt, ein unkonventioneller Geist, der die Welt um sich herum mit einer einzigartigen Vision formte. Seine Philosophie war so einfach wie revolutionär: Die Natur ist die beste Designerin, und die perfekte Form ist immer rund. Mit dieser Überzeugung schuf er ein beeindruckendes Lebenswerk, das von winzigen Kugelschreibern bis hin zu gewaltigen Flugzeugen reichte. Auch wenn er 2019 verstarb, lebt sein Einfluss in seinen ikonischen Designs und der Arbeit jener weiter, die von ihm gelernt haben.

Die runde Welt des Luigi Colani
Geboren als Lutz Colani am 2. August 1928 in Berlin, entwickelte Luigi Colani schon früh eine Faszination für Formen und Bewegung. Nach Studien in Bildhauerei und Malerei wandte er sich der Aerodynamik zu, was seinen Blick auf Design grundlegend prägte. Er war überzeugt, dass die effizientesten und schönsten Formen in der Natur zu finden sind – strömungsgünstig, ergonomisch und frei von unnötigen Ecken und Kanten. Sein Credo „Meine Welt ist rund“ wurde zum Leitmotiv seiner Arbeit.
Colani stellte die etablierten Designprinzipien seiner Zeit radikal infrage. Während das Industriedesign oft von Funktionalität und geradliniger Ästhetik geprägt war, setzte Colani auf eine expressive, fast skulpturale Formensprache. Seine Entwürfe waren nicht nur Gebrauchsgegenstände, sondern kleine Kunstwerke, die eine emotionale Reaktion hervorrufen sollten. Er wollte Objekte schaffen, die sich organisch in ihre Umgebung und an den menschlichen Körper anpassen.
Ein herausragendes Beispiel für Colanis revolutionären Ansatz ist seine Arbeit im Bereich des Badezimmerdesigns. Mit der auf der ISH 1975 vorgestellten Keramiklinie für Villeroy & Boch präsentierte er nicht nur eine neue, ergonomisch begründete Formensprache, sondern führte auch das Konzept einer aufeinander abgestimmten Kollektion ein. Durch die Abstimmung von Keramikteilen und die Entwicklung eines ganzheitlichen Farbkonzepts gilt Colani als Begründer des Kollektionsprinzips im Baddesign. Diese Innovation hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Branche und trug maßgeblich zur Entstehung der modernen Badkultur bei, in der das Badezimmer als individueller, ästhetischer Lebensraum verstanden wird.
Ein globaler Gestalter: Erfolge von Japan bis China
Luigi Colani war ein Weltreisender im Dienste des Designs. Seine Karriere führte ihn quer über den Globus, wo er in verschiedenen Kulturen und Industrien tätig war. Besonders prägend und erfolgreich war seine lange Zeit in Asien, speziell in Japan und später in China. In einem Interview aus dem Jahr 2000 berichtete Colani von seinen 15 Jahren in Japan, in denen er nach eigener Aussage zur Nummer eins der Designer des Landes aufstieg.
Er arbeitete für einige der größten japanischen Konzerne, darunter Giganten wie Canon und Sony. In dieser Zeit hinterließ er seine unverwechselbare Handschrift in verschiedensten Produktbereichen. Colani sah sich als jemand, der dem japanischen Design half, sich vom reinen Kopieren westlicher Vorbilder zu lösen und eine eigenständige Identität zu entwickeln, geprägt von weichen, asiatischen Formen. Mit einem großen Team bearbeitete er von Japan aus den gesamten ostasiatischen Raum und erzielte dort große Erfolge. Sein Einfluss in Japan war so nachhaltig, dass er dort noch lange nach seiner Rückkehr nach Europa hoch verehrt wurde.
Diese Erfahrungen in Asien dienten Colani oft als Kontrastfolie für seine kritische Betrachtung der europäischen, insbesondere der deutschen Industrie. Er sah in Asien einen „Hunger“ und eine Dynamik, die ihn an die Aufbruchsstimmung im Europa der 1950er Jahre erinnerten. Dem stellte er eine wahrgenommene Stagnation und „Sattheit“ in Deutschland gegenüber. Er kritisierte die mangelnde Risikobereitschaft und das Zögern in deutschen Vorstandsetagen, die seiner Meinung nach den Fortschritt behinderten, obwohl Deutschland über eine hervorragende Arbeitskraft und Infrastruktur verfüge.
Der unbequeme Prophet: Kritik an der deutschen Industrie
Colani war bekannt für seine schonungslose Offenheit und seine Bereitschaft, den Finger in die Wunde zu legen. Er galt als unbequem und polarisierend, insbesondere in Deutschland, wo er die Designszene und die Industrie immer wieder herausforderte. Er sah sich als Visionär, der seiner Zeit voraus war, und litt unter dem Gefühl, von vielen nicht verstanden oder gar ignoriert zu werden.

Seine Kritik richtete sich insbesondere gegen die Führungsetagen deutscher Unternehmen, die er als langweilig und wenig innovationsfreudig empfand. Er war frustriert, dass nach seiner Rückkehr aus Asien langjährige Geschäftspartner in der Sanitärbranche nicht mehr bereit waren, neue, visionäre Projekte mit ihm anzugehen. Er sah dies als Symptom einer allgemeinen Stagnation, die das Potenzial Deutschlands als Technologie- und Designnation bremse.
Colani verachtete Zweifler und liebte das Risiko. Er wollte immer mehr als das momentan Machbare und grollte, wenn andere nicht bereit waren, diesen Weg mitzugehen. Er stellte sich bewusst gegen die Strömungen des Designs, auch wenn andere Designer wie Philippe Starck große Bekanntheit erlangten. Colani war überzeugt, dass die besten Designer immer noch in Deutschland säßen, auch wenn die internationale Wahrnehmung oft Italien in den Vordergrund stellte. Er sah sich selbst als den legitimen Nachfolger der großen italienischen Designer, eine Rolle, die ihm seiner Meinung nach in Deutschland aufgrund seiner unbequemen Art verwehrt wurde.
Ein riesiges Werk und ein lebendiges Erbe
Das Schaffen von Luigi Colani war immens. Nach eigener Schätzung brachte er rund 4000 Ideen zu Papier, von denen ein Großteil – etwa 70 Prozent – nie realisiert wurde. Viele seiner Entwürfe waren ihrer Zeit weit voraus und zeugten von einem tiefen Verständnis für zukünftige Bedürfnisse und Technologien. Seine Designs umfassten eine unglaubliche Bandbreite an Produkten, von den berühmten runden Fernsehern und dickbäuchigen Kugelschreibern bis hin zu geschwungenen Stühlen, sanft geformten Brillen und futuristischen Fahrzeugstudien wie den Stromlinien-Trucks.
Ein besonders erfolgreiches und ikonisches Beispiel seiner Arbeit ist die Spiegelreflexkamera Canon T90, deren ergonomisch geformtes Gehäuse Maßstäbe setzte. Aber auch seine Entwürfe für die Olympischen Spiele in Peking oder seine Architekturprojekte zeugen von seiner Vielseitigkeit und seinem visionären Anspruch.
Obwohl es in seinen letzten Lebensjahren etwas ruhiger um Colani wurde, blieb er bis ins hohe Alter aktiv. Sein Wunsch nach einem eigenen Museum, das sein umfangreiches Werk beherbergen sollte, erfüllte sich leider nicht. Doch nach seinem Tod am 16. September 2019 begann eine verstärkte Würdigung seines Schaffens. Er wird heute zunehmend wieder als der Visionär anerkannt, der er immer war.
Sein Erbe wird nicht nur in Ausstellungen wie „Luigi Colani – Formen der Zukunft“ im Marta Herford lebendig gehalten, sondern auch von jenen weitergetragen, die eng mit ihm zusammenarbeiteten. Eine von ihnen ist Hellen Westerhof, die als letzte Meisterschülerin Colanis gilt. Sie arbeitete eng mit ihm in seiner Design Factory in Karlsruhe und später in seinem Designinstitut in China zusammen, wo sie ihn in kreativer Leitung und internationaler Repräsentation unterstützte.
Hellen Westerhof ist heute selbst eine anerkannte Produktdesignerin, Unternehmerin und Dozentin, die sich auf nachhaltiges Design spezialisiert hat. In ihren Vorträgen beleuchtet sie die außergewöhnliche Denkweise und Arbeitsweise Colanis und zeigt, wie er Konventionen radikal neu dachte und neue Maßstäbe setzte. Sie verbindet Colanis visionäre Ansätze mit aktuellen Themen wie Biodesign und trägt so dazu bei, seine Ideen für die Zukunft relevant zu machen. Ihre Arbeit ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Colanis Vergangenheit und der Zukunft des Designs.
Colanis Designphilosophie im Vergleich
Um die Einzigartigkeit von Colanis Ansatz zu verdeutlichen, lohnt sich ein Blick auf die Unterschiede zu gängigen Designströmungen:
Aspekt | Luigi Colani | Andere Designströmungen (Beispiele) |
---|---|---|
Formen | Organisch, biomorph, fließend, rund | Geometrisch, minimalistisch, funktional, kantig |
Inspiration | Natur, Aerodynamik, Biologie, Ergonomie | Funktion, Material, Konstruktion, gesellschaftliche Trends |
Ziel | Revolution, Verbesserung der menschlichen Interaktion mit Objekten, emotionale Wirkung | Problemlösung, Ästhetik, Massenproduktion, Marktorientierung |
Haltung | Rebellisch, visionär, selbstbewusst, kompromisslos | Anpassungsfähig, pragmatisch, teamorientiert |
Bekannteste Produkte | Canon T90 Kamera, Villeroy & Boch Badkeramik, Colani Trucks, Kugelschreiber, Fernseher | Stühle (Bauhaus, Eames), Leuchten (Art Deco), Elektronik (Braun), Möbel (IKEA) |
Colani stand oft im Widerspruch zum etablierten Industriedesign, das oft auf Vereinfachung und Reduktion setzte. Er hingegen suchte die Komplexität und Perfektion, die er in der Natur fand, und übertrug sie auf industrielle Produkte.

Häufig gestellte Fragen zu Luigi Colani und seinem Werk
Was war das Besondere an Luigi Colanis Design?
Colanis Design zeichnete sich durch seine organischen, runden und fließenden Formen aus, die er von der Natur und der Aerodynamik ableitete. Er legte großen Wert auf Ergonomie und eine emotionale Verbindung zum Produkt. Seine Designs waren oft futuristisch und stellten konventionelle Vorstellungen von Form und Funktion infrage.
Hat Luigi Colani nur Fahrzeuge entworfen?
Nein, ganz im Gegenteil. Obwohl er für seine futuristischen Fahrzeugstudien bekannt ist, war Colani ein Universaldesigner, der eine enorme Bandbreite an Produkten entwarf. Dazu gehörten Alltagsgegenstände wie Kameras, Möbel, Geschirr, Brillen, Kugelschreiber, aber auch Architektur und sogar Mode.
Wo kann man heute noch Colani-Designs sehen?
Colani-Designs sind in Museen weltweit zu finden, die sich mit Designgeschichte beschäftigen. Einige seiner Produkte, wie bestimmte Kameras oder Badkeramik, sind noch im Umlauf oder auf dem Sammlermarkt erhältlich. Zudem gibt es immer wieder Ausstellungen, die seinem Werk gewidmet sind, wie zum Beispiel im Marta Herford.
Was war Luigi Colanis größter Erfolg?
Colani selbst bezeichnete die ergonomisch geformte Spiegelreflexkamera Canon T90 als sein erfolgreichstes Modell. Aber auch seine Villeroy & Boch Badkollektion hatte einen enormen Einfluss auf eine ganze Branche.
Arbeitet Hellen Westerhof noch im Designbereich?
Ja, Hellen Westerhof ist eine aktive und erfolgreiche Produktdesignerin. Sie leitet ihre eigene Firma, die sich auf nachhaltiges Design konzentriert, lehrt an Hochschulen und hält Vorträge, unter anderem über das Werk ihres Meisters Luigi Colani.
Wird das Erbe von Luigi Colani gepflegt?
Ja, Colanis Erbe wird von verschiedenen Seiten gepflegt. Museen stellen seine Werke aus, Designhistoriker erforschen sein Schaffen, und ehemalige Schüler und Mitarbeiter wie Hellen Westerhof tragen seine Ideen und seine Denkweise in die heutige Designwelt.
Luigi Colani war zweifellos einer der originellsten und mutigsten Designer seiner Zeit. Er schuf eine unverwechselbare Ästhetik, die auf den Prinzipien der Natur basierte und die Grenzen des Möglichen stets neu auslotete. Seine Kritik an Konventionen und seine unermüdliche Suche nach der perfekten, organischen Form machen ihn zu einer bleibenden Inspirationsquelle. Auch wenn die Welt heute oft von geradliniger Funktionalität dominiert wird, erinnern uns Colanis Designs daran, dass Schönheit, Ergonomie und ein Hauch von Futurismus untrennbar miteinander verbunden sein können. Sein Werk ist ein Plädoyer für mehr Mut und Vorstellungskraft im Design – eine Botschaft, die auch für die Gestaltung von alltäglichen Objekten, bis hin zu Bürobedarf, relevant bleibt: Warum sollten selbst die banalsten Gegenstände nicht auch schön und ergonomisch sein?
Das Leben und Werk von Luigi Colani zeigen, dass wahre Innovation oft abseits ausgetretener Pfade stattfindet. Er war ein Einzelgänger, ein Rebell, dessen Einfluss sich über Branchengrenzen hinweg erstreckte und Generationen von Designern prägte. Sein Vermächtnis ist die Inspiration, die er uns hinterlassen hat: den Mut zu haben, die Welt mit anderen Augen zu sehen und Formen zu schaffen, die nicht nur funktionieren, sondern auch unsere Sinne ansprechen und unsere Vorstellungskraft beflügeln. Die runde Welt des Luigi Colani ist eine Welt voller Möglichkeiten, die uns einlädt, Design neu zu denken.
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