15/09/2020
Jahrzehntelang waren sie ein fester Bestandteil unseres Briefkastens und ein wichtiges Werkzeug für die wöchentliche Schnäppchenjagd: die gedruckten Prospekte von Supermärkten und Discountern. Sie informierten über aktuelle Angebote, inspirierten zum Einkauf und füllten nicht selten ganze Papiertonnen. Doch die Zeiten ändern sich. Immer mehr Handelsunternehmen überdenken die massive Verteilung von Handzetteln. Zuletzt sorgte Kaufland für Aufsehen, indem das Unternehmen einem Teil seiner Kunden mitteilte, die gedruckten Prospekte landeten künftig nicht mehr im Briefkasten. Die Begründung klingt nobel: "Klicken statt blättern – zum Wohle der Umwelt." Doch ist Umweltschutz tatsächlich der einzige oder gar der Hauptgrund für diesen Schritt?
Die Ankündigung von Kaufland, wenn auch zunächst nur für einen Teil der Kundschaft, wirft Fragen auf und beleuchtet einen breiteren Trend im Einzelhandel. Es ist ein Schritt, der tiefgreifende Auswirkungen auf die Papierindustrie, das Marketingbudget der Unternehmen und nicht zuletzt auf die Gewohnheiten der Verbraucher hat. Der Abschied vom gedruckten Prospekt ist mehr als nur eine logistische Änderung; er symbolisiert den Wandel im Informationsverhalten und die zunehmende Bedeutung digitaler Kanäle.

Die Papierflut im Einzelhandels-Marketing
Man muss sich das Ausmaß vergegenwärtigen: Woche für Woche werden Millionen, wenn nicht Milliarden von Prospekten in ganz Deutschland gedruckt und verteilt. Jeder Haushalt erhält stapelweise Papier mit den neuesten Angeboten von Supermärkten, Baumärkten, Elektronikgeschäften und vielen mehr. Dieses System war lange Zeit äußerst effektiv. Es erreichte nahezu jeden Haushalt, unabhängig von Alter oder digitaler Affinität, und diente als primäre Informationsquelle für preisbewusste Einkäufer. Doch diese massive Papierproduktion hat ihren Preis – nicht nur in Euro und Cent, sondern auch in Bezug auf die Umwelt.
Die Herstellung von Papier ist ressourcenintensiv. Sie verbraucht Holz, Wasser und Energie in großen Mengen. Chemikalien sind oft notwendig, um das Papier zu bleichen und zu verarbeiten. Auch der Druckprozess selbst benötigt Energie und Farben. Hinzu kommt der Transport der fertigen Prospekte zu den Verteilzentren und schließlich die Zustellung in die Briefkästen, was ebenfalls Emissionen verursacht. Nach der Nutzung landen viele dieser Prospekte direkt im Altpapier oder schlimmstenfalls im Restmüll, obwohl sie recycelbar wären. Die schiere Menge des produzierten und oft nur kurz genutzten Papiers macht die wöchentlichen Prospekte zu einem erheblichen Umweltfaktor.
"Klicken statt blättern": Das Umweltargument
Kaufland kommuniziert seinen Schritt klar als Beitrag zum Umweltschutz. Mit der Umstellung von Papier auf Digital spare man Ressourcen und reduziere CO2-Emissionen. Die Biosupermarktkette Alnatura hat kürzlich ebenfalls die Auslage gedruckter Handzettel in ihren Filialen eingestellt und argumentiert ähnlich: Kunden nähmen die Zettel oft nicht mehr mit nach Hause, und man spare jährlich signifikante Mengen Papier und CO2. Das Umweltargument ist populär, verständlich und entspricht dem wachsenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Gesellschaft.
Es ist unbestreitbar, dass die Reduzierung des Papierverbrauchs positive Auswirkungen auf die Umwelt hat. Weniger Papierproduktion bedeutet weniger Rodung von Wäldern, weniger Wasser- und Energieverbrauch in der Herstellung und potenziell weniger Abfall. Unternehmen, die ihren ökologischen Fußabdruck verringern wollen, sehen in der Umstellung auf digitale Kommunikation einen vielversprechenden Weg. Es ermöglicht ihnen, sich als verantwortungsbewusst und zukunftsorientiert zu positionieren, was wiederum positiv auf ihr Image wirken kann.
Wirtschaftliche Interessen im Vordergrund?
So plausibel und begrüßenswert das Umweltargument auch klingt, bei großen Handelsketten wie Kaufland, deren Geschäftsmodell stark auf der Reichweite und Wirkung der gedruckten Prospekte basiert, drängt sich die Frage nach weiteren Motiven auf. Die Produktion und Verteilung von Millionen von Prospekten ist mit enormen Kosten verbunden. Druckereien müssen bezahlt werden, und die Zustellung durch Dienstleister wie die Deutsche Post mit ihrem "Einkauf aktuell" oder lokale Wochenblatt-Verlage schlägt erheblich zu Buche. Allein die Portokosten und Druckkosten summieren sich schnell zu Millionenbeträgen pro Jahr.
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es nur logisch, diese Kostenposition kritisch zu prüfen. Wenn sich herausstellt, dass ein Teil der verteilten Prospekte ungelesen im Altpapier landet oder dass Kunden ihre Informationen zunehmend online suchen, dann ist die Effizienz der Prospektverteilung möglicherweise nicht mehr gegeben. Eine Reduzierung der gedruckten Auflage oder sogar die Einstellung der Haushaltsverteilung in bestimmten Gebieten könnte zu erheblichen Einsparungen führen. Es liegt nahe, dass diese potenziellen Einsparungen ein starker Treiber für die Entscheidung sind, auch wenn die Umweltkommunikation im Vordergrund steht.
Die Kommunikation von Kaufland in dieser Angelegenheit scheint zudem widersprüchlich. Während gegenüber einem Teil der Kunden die Einstellung der Briefkasten-Verteilung angekündigt wurde, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage, die Prospekte würden weiterhin verteilt und lägen in den Filialen aus, man prüfe lediglich eine "Verteilungsoptimierung". Diese Diskrepanz nährt den Verdacht, dass die Umstellung eher ein Testlauf in bestimmten Regionen ist, um die Auswirkungen auf das Kundenverhalten und die Umsätze zu messen, oder eine gezielte Sparmaßnahme dort, wo die Prospektverteilung als weniger rentabel erachtet wird. In beiden Fällen wäre die alleinige Hervorhebung des Umweltaspekts, während die wirtschaftlichen Vorteile verschwiegen werden, ein fragwürdiges Marketing-Manöver.
Der Wandel zum Digitalen Marketing
Unabhängig von den genauen Motiven ist der Trend klar: Das Marketing im Einzelhandel verlagert sich zunehmend ins Digitale. Websites, mobile Apps, E-Mail-Newsletter und soziale Medien sind die neuen Kanäle, über die Unternehmen ihre Kunden erreichen. Auch Kaufland bietet seine Angebote online an – auf der Website, in der App und per Newsletter. Diese digitalen Kanäle bieten den Unternehmen neue Möglichkeiten:
- Schnelligkeit und Flexibilität: Angebote können kurzfristig angepasst und kommuniziert werden.
- Interaktivität: Kunden können direkt auf Angebote reagieren, Einkaufslisten erstellen oder Benachrichtigungen erhalten.
- Messbarkeit: Unternehmen können genau verfolgen, welche Angebote online aufgerufen werden und wie effektiv die digitalen Kampagnen sind.
- Geringere variable Kosten: Sobald die digitale Infrastruktur (Website, App) steht, sind die Kosten für die Verbreitung von Angeboten pro zusätzlichem Nutzer marginal im Vergleich zu den Druck- und Verteilkosten pro zusätzlichem Prospekt.
Allerdings gibt es auch Herausforderungen. Nicht alle Kundengruppen sind gleichermaßen digitalaffin. Ältere Menschen oder solche ohne zuverlässigen Internetzugang oder Smartphone könnten benachteiligt werden, wenn gedruckte Informationen wegfallen. Die digitale Informationsflut ist zudem immens, und es wird schwieriger, in der Masse der Online-Inhalte wahrgenommen zu werden. Daher ist eine vollständige Abkehr vom gedruckten Prospekt riskant, solange nicht sichergestellt ist, dass die digitalen Alternativen alle Kunden erreichen und überzeugen.
Papier vs. Digital: Ein Vergleich
Um die Vor- und Nachteile besser zu verstehen, betrachten wir einen einfachen Vergleich der beiden Informationsformen:
Merkmal | Gedruckter Prospekt | Digitale Angebote (Website/App) |
---|---|---|
Reichweite | Potenziell jeder Haushalt im Verteilgebiet | Nutzer mit Internetzugang/Smartphone |
Kosten (für Unternehmen) | Hohe Druck- und Verteilkosten (variabel pro Exemplar) | Hohe Entwicklungskosten (Fixkosten), geringe variable Kosten pro Nutzer |
Umweltbelastung | Hoch (Papierproduktion, Druck, Transport, Entsorgung) | Geringer pro Nutzung, aber Energieverbrauch für Server, Geräte, E-Waste |
Aktualität | Wöchentlich fest (kann nicht spontan geändert werden) | Jederzeit aktualisierbar |
Zugänglichkeit | Ohne technische Hilfsmittel nutzbar | Benötigt Gerät und Internetzugang |
Interaktivität | Gering | Hoch (Filter, Suche, Einkaufsliste) |
Messbarkeit | Gering (nur indirekt über Abverkäufe) | Hoch (Klicks, Aufrufe, Verweildauer) |
Dieser Vergleich zeigt, dass beide Formen spezifische Stärken und Schwächen haben. Die Entscheidung, welche Form oder welcher Mix am besten geeignet ist, hängt von der Zielgruppe, den Marketingzielen und den wirtschaftlichen Überlegungen des Unternehmens ab.
Die Glaubwürdigkeitsfrage beim Umweltmarketing
Wenn Unternehmen wie Kaufland eine Maßnahme ergreifen, die offensichtlich auch erhebliche Kosteneinsparungen mit sich bringt, und diese primär oder ausschließlich mit Umweltschutz begründen, stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Ist es echtes Umwelt-Engagement oder geschicktes Greenwashing? Viele Verbraucher reagieren skeptisch, wenn Unternehmen sich als Umweltschützer inszenieren, während gleichzeitig der wirtschaftliche Vorteil auf der Hand liegt. Ein transparenterer Ansatz, der sowohl die Umweltvorteile als auch die betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten kommuniziert, wäre ehrlicher und könnte langfristig mehr Vertrauen schaffen.
Die Reduzierung der Prospektflut ist an sich eine positive Entwicklung für die Umwelt. Weniger unnötig gedrucktes Papier bedeutet weniger Ressourcenverbrauch. Doch die Art und Weise, wie diese Umstellung kommuniziert wird, ist entscheidend. Wenn der Eindruck entsteht, dass Umweltargumente vorgeschoben werden, um Kosten zu sparen, untergräbt dies nicht nur die Glaubwürdigkeit des Unternehmens, sondern kann auch das Vertrauen in echte Nachhaltigkeitsinitiativen schmälern.
Häufig gestellte Fragen
Wo finde ich jetzt die Kaufland-Angebote, wenn ich keinen Prospekt mehr bekomme?
Kaufland bietet seine aktuellen Angebote weiterhin online an: auf der offiziellen Website, in der Kaufland-App und über den E-Mail-Newsletter. Diese Kanäle werden vom Unternehmen aktiv beworben, um die Kunden dorthin zu leiten.
Ist die digitale Information wirklich immer umweltfreundlicher als Papier?
Das ist komplex. Die Herstellung von Papier hat signifikante Umweltwirkungen. Digitale Technologien verbrauchen jedoch auch Energie (Server, Rechenzentren, Endgeräte) und erzeugen Elektroschrott. Bei einmaliger oder sehr kurzfristiger Nutzung ist digitales oft besser. Bei sehr intensiver und langfristiger Nutzung digitaler Geräte kann die Bilanz anders aussehen. Im Falle von Massenpublikationen wie wöchentlichen Prospekten, die oft nur kurz angesehen werden, ist die digitale Alternative in der Regel umweltfreundlicher, insbesondere was den Rohstoffverbrauch (Holz/Papier) angeht.
Warum gibt Kaufland unterschiedliche Informationen heraus?
Die genauen Gründe für die widersprüchliche Kommunikation sind unklar, da das Unternehmen dazu keine detaillierten Angaben machen möchte. Mögliche Erklärungen sind, dass es sich um einen Testlauf in bestimmten Regionen handelt, der intern anders bewertet wird als in der externen Kommunikation, oder dass man die volle Tragweite der Umstellung noch nicht klar kommunizieren will. Es könnte auch ein Versuch sein, die Umstellung schrittweise und mit maximal positiver externer Wirkung (Umwelt) einzuführen.
Betrifft die Einstellung der Prospekt-Verteilung alle Kunden von Kaufland?
Laut der ursprünglichen Ankündigung betrifft es zunächst nur "einem Teil seiner Kunden". Das deutet darauf hin, dass die Umstellung regional begrenzt ist oder bestimmte Kriterien für die Auswahl der Haushalte zugrunde liegen (z.B. Erreichbarkeit digitaler Kanäle, Kosten der Verteilung im jeweiligen Gebiet).
Fazit
Die Entscheidung von Kaufland, die Verteilung gedruckter Prospekte für einen Teil der Kunden einzustellen und stattdessen auf digitale Kanäle zu verweisen, ist Teil eines größeren Wandels im Marketing des Einzelhandels. Während das kommunizierte Ziel, die Umwelt zu schonen, unzweifelhaft positiv ist und der Trend zum Digitalen aus ökologischer Sicht oft Vorteile bietet (weniger Papier, weniger Druckfarben, weniger Transportaufwand), sind die wirtschaftlichen Anreize für ein Unternehmen wie Kaufland – nämlich erhebliche Kosten einzusparen – offensichtlich. Die mangelnde Transparenz bezüglich der genauen Gründe und des Umfangs der Umstellung lässt Raum für Spekulationen über die tatsächlichen Prioritäten. Für Kunden bedeutet dies, sich zunehmend auf digitale Informationsquellen einzustellen, wenn sie über aktuelle Angebote informiert bleiben möchten. Dies unterstreicht einmal mehr die fortschreitende Digitalisierung unseres Alltags, die auch vor dem wöchentlichen Einkauf nicht Halt macht.
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