19/03/2021
Ewald Lienen ist zweifellos eine der prägnantesten Persönlichkeiten des deutschen Fussballs. Bekannt für seine Schnelligkeit als Linksaußen, seine leidenschaftliche Art als Trainer und seine klaren politischen Überzeugungen, hat Lienen eine Karriere hinter sich, die weit über das Spielfeld hinausgeht. Von einer der schlimmsten Verletzungen der Bundesliga-Geschichte bis hin zu seiner Rolle als Wertebotschafter – Lienens Weg ist einzigartig und inspirierend.

Lienen, geboren in Ostwestfalen, begann seine Profikarriere in den 1970er Jahren. Nach seinem Abitur spielte er zunächst für Arminia Bielefeld in der 2. Bundesliga. Dort scheiterte er 1977 knapp am Aufstieg in die höchste Spielklasse. Es folgte der Wechsel zu einem der Top-Clubs der Zeit: Borussia Mönchengladbach. Bei der Fohlenelf erlebte Lienen einige der größten Erfolge seiner aktiven Laufbahn. 1978 wurde er Vizemeister, ein Jahr später feierte er den Gewinn des UEFA-Pokals. Auch 1980 stand er erneut im Finale dieses Wettbewerbs, musste sich aber Eintracht Frankfurt geschlagen geben.
Doch Lienens Name ist untrennbar mit einem dramatischen Moment verbunden, der sich am 14. August 1981 ereignete. Es war ein Spiel zwischen seinem damaligen Verein Arminia Bielefeld und Werder Bremen. Eine Situation, die Fussballgeschichte schrieb. Bei einem Zweikampf schlitzte ihm der Bremer Spieler Norbert Siegmann mit den Stollen den Oberschenkel auf. Das Ergebnis: eine klaffende, 25 cm lange und tiefe Risswunde.
Der Anblick war schockierend. Doch was folgte, war noch bemerkenswerter. Anstatt sich behandeln zu lassen, rannte Ewald Lienen mit der blutenden Wunde zum Spielfeldrand, direkt auf die Trainerbank von Werder Bremen zu. Sein Zorn galt Otto Rehhagel, dem damaligen Trainer der Bremer. Lienen warf Rehhagel vor, seinen Spieler Siegmann zu diesem brutalen Foul angestiftet zu haben. Eine explosive Anschuldigung, die die Emotionen hochkochen liess.
Trotz der Schwere der Verletzung, die mit 23 Stichen genäht werden musste, war Lienens Genesung erstaunlich schnell. Bereits nach nur 17 Tagen nahm er wieder das Training auf. Jahre später, in einem Interview im Jahr 2012, relativierte Lienen die Situation. Er erklärte, dass die Verletzung zwar schlimm aussah, aber im Grunde harmlos gewesen sei. Seine Konfrontation mit Rehhagel sei lediglich im Affekt geschehen.
Nach seiner Rückkehr zu Bielefeld spielte Lienen dort bis 1983, bevor er erneut nach Mönchengladbach wechselte, wo er bis 1987 blieb. Mit Gladbach stand er 1984 im DFB-Pokal-Finale, das im Elfmeterschiessen gegen den FC Bayern München verloren ging.
Lienen war jedoch nicht nur auf dem Platz aktiv. Zusammen mit anderen Spielern gründete er 1987 die Gewerkschaft Vereinigung der Vertragsfussballspieler e.V. (VdV). Im selben Jahr wechselte er zum MSV Duisburg. Mit den Zebras erlebte er einen weiteren Aufschwung, stieg 1989 in die 2. Bundesliga und 1991 sogar wieder in die 1. Bundesliga auf. 1992 beendete Ewald Lienen seine aktive Spielerkarriere.

Der Übergang vom Spieler zum Trainer war fließend. Bereits 1989 schloss Lienen seine Ausbildung zum Fussballlehrer mit der Bestnote ab. Während er noch für die erste Mannschaft des MSV Duisburg spielte, trainierte er bereits die Amateure des Vereins. 1993 übernahm er dann den Posten des Cheftrainers der ersten Mannschaft, den er bis Ende 1994 innehatte.
Seine Trainerlaufbahn führte ihn durch zahlreiche Stationen im In- und Ausland. Zwischen 1995 und 1997 arbeitete er als Co-Trainer unter Jupp Heynckes beim spanischen Erstligisten CD Teneriffa. Es folgten Engagements als Cheftrainer bei Hansa Rostock, wo er 1997 nur knapp die Qualifikation für den UEFA-Cup verpasste, und beim 1. FC Köln. Mit Köln gelang ihm der Aufstieg in die 1. Bundesliga, bevor er im Januar 2002 entlassen wurde. Es folgte eine kurze Rückkehr zu CD Teneriffa und anschliessend zu Borussia Mönchengladbach, wo er ebenfalls nur wenige Monate im Amt blieb. Von 2004 bis 2005 trainierte er Hannover 96.
Ein besonderes Kapitel schlug Lienen in Griechenland auf. Ab 2006 trainierte er Panionios Athen und führte den Club 2007 in den UEFA-Cup. Seine Arbeit wurde gewürdigt, und er wurde 2007 zum Trainer des Jahres in Griechenland gewählt. Sein Engagement dort endete jedoch im November 2008, als er seinen Vertrag aus Protest gegen die Entlassung seines Co-Trainers und Schwiegersohnes auflöste.
Zurück in Deutschland übernahm er im Mai 2009 den TSV 1860 München in der 2. Bundesliga. Er sicherte den Löwen den Klassenerhalt, verpasste aber in der folgenden Saison den angestrebten Aufstieg. Im Juni 2010 wechselte er erneut nach Griechenland zu Olympiakos Piräus, wurde aber nach nur zwei Monaten entlassen.
Es folgte eine Rückkehr zu Arminia Bielefeld im November 2010, doch nach dem Abstieg in die 3. Liga wurde er zur Saison 2011/2012 ersetzt. Anfang Oktober 2012 übernahm er AEK Athen als Trainer und Sportlicher Leiter, wurde aber im April 2013 entlassen. Lienen kritisierte die finanzielle Situation des Vereins scharf und bezeichnete seine Entlassung als „absurdes Theater“.
Anfang November 2013 wurde Ewald Lienen der erste deutsche Trainer eines rumänischen Profiklubs, als er den Erstligisten Oțelul Galați übernahm. Auch dieses Engagement endete im Juni 2014 nach Meinungsverschiedenheiten mit dem Vereinseigner.
Eine seiner prägendsten Trainerstationen in den letzten Jahren war der FC St. Pauli. Im Dezember 2014 übernahm er die Mannschaft auf dem letzten Tabellenplatz der 2. Bundesliga. Mit seiner Leidenschaft und seinem unermüdlichen Einsatz gelang ihm das kleine Wunder: Er führte das Team noch zum Klassenerhalt.

Nach seiner Zeit als Cheftrainer wechselte Lienen beim FC St. Pauli in andere Rollen. Ab Mai 2017 war er Technischer Direktor des Vereins. Später übernahm er die Position des Werte- und Markenbotschafters. In diesen Rollen konnte er sich verstärkt seinen Themen widmen, die ihm am Herzen liegen: soziale und gesellschaftspolitische Projekte, die Vermittlung von Werten im Sport und die kritische Betrachtung des modernen Fussballs.
Ewald Lienen hat sich immer wieder kritisch zu gesellschaftlichen und politischen Themen geäußert. Er selbst sieht sich nicht primär als „Rebell“, auch wenn der Titel seiner Autobiografie so lautet. Für ihn geht es um Haltung und die Nutzung des grundgesetzlich verbrieften Rechts auf freie Meinungsäußerung. Er engagierte sich früh gegen den Radikalenerlass und kritisierte die Verquickung von Sport und Politik, beispielsweise im Hinblick auf die Fussball-WM 1978 in Argentinien oder die Bedingungen bei der WM 2022 in Katar. Lienen betont, dass Sport immer politisch war und sein wird. Er nutzt seine Popularität, um für Werte wie Fairness, Toleranz, Respekt und Solidarität einzutreten, insbesondere im Kinder- und Jugendfussball. Diese Haltung konnte er in seiner Rolle bei St. Pauli besonders gut einbringen.
Im Juni 2022, nach siebeneinhalb Jahren beim FC St. Pauli, verkündete Ewald Lienen seinen Abschied. Sein Vertrag, der am 30. Juni auslief, wurde nicht verlängert. Lienen begründete diesen Schritt damit, seinen Lebensmittelpunkt und teilweise auch seine beruflichen Aktivitäten wieder mehr ins Rheinland verlegen zu wollen. Der FC St. Pauli würdigte Lienens Verdienste und seine besondere Persönlichkeit. Präsident Oke Göttlich bezeichnete sich als „Ewald-Fan“ und betonte, dass Lienen unvergessen bleibe und immer willkommen sei.
Nach seinem Abschied vom FC St. Pauli ist Ewald Lienen wieder in seiner alten Heimat Ostwestfalen ansässig geworden. Er wohnt seit Anfang 2022 wieder in Schloß Holte-Stukenbrock. Dort hat er unter anderem seine Autobiografie „Ich war schon immer ein Rebell“ vorgestellt. Das Buch, das er zusammen mit seiner Frau Rosa schrieb, war für ihn eine emotionale Reise. Er betonte, wie befreiend es war, sich beim Schreiben mit seiner Vergangenheit und seinen Gefühlen auseinanderzusetzen.
Für Ewald Lienen ist Heimat nicht nur ein fester Ort. Obwohl er sich in vielen Städten wohlgefühlt hat und heute mit seiner Frau in Mönchengladbach heimisch ist, wo auch seine Tochter lebt, bleibt Ostwestfalen-Lippe mit seinen Wurzeln und Kindheitserinnerungen ein wichtiger Teil seiner Identität. Sein Engagement für Werte und Haltung, seine kritische Stimme und seine bewegte Karriere machen ihn zu einer Persönlichkeit, die den deutschen Fussball auf vielfältige Weise geprägt hat.
Einige Stationen von Ewald Lienens Karriere im Überblick:
- Spieler:
- Arminia Bielefeld (1974-1977, 1981-1983)
- Borussia Mönchengladbach (1977-1981, 1983-1987)
- MSV Duisburg (1987-1992)
- Trainer:
- MSV Duisburg (Amateure & Profis, 1989-1994)
- CD Teneriffa (Co-Trainer, 1995-1997)
- Hansa Rostock (1997-1999)
- 1. FC Köln (1999-2002)
- CD Teneriffa (2002-2003)
- Borussia Mönchengladbach (2003)
- Hannover 96 (2004-2005)
- Panionios Athen (2006-2008)
- TSV 1860 München (2009-2010)
- Olympiakos Piräus (2010)
- Arminia Bielefeld (2010-2011)
- AEK Athen (2012-2013)
- Oțelul Galați (2013-2014)
- FC St. Pauli (Trainer, Technischer Direktor, Wertebotschafter, 2014-2022)
Häufig gestellte Fragen zu Ewald Lienen:
Was ist mit Ewald Lienen 1981 passiert?
Am 14. August 1981 erlitt Ewald Lienen in einem Spiel zwischen Arminia Bielefeld und Werder Bremen eine schwere Verletzung. Werder-Spieler Norbert Siegmann schlitzte ihm mit den Stollen den Oberschenkel auf, was zu einer 25 cm langen, tiefen Risswunde führte.
Rannte Ewald Lienen mit der Wunde zum Trainer?
Ja, nach der Verletzung rannte Ewald Lienen mit der klaffenden Wunde zum Spielfeldrand, um den damaligen Trainer von Werder Bremen, Otto Rehhagel, zu konfrontieren. Er machte Rehhagel für das Foul verantwortlich und behauptete, dieser habe Siegmann angestiftet.

Wie lange dauerte Lienens Pause nach der Verletzung?
Obwohl die Wunde mit 23 Stichen genäht werden musste, begann Ewald Lienen bereits nach erstaunlichen 17 Tagen wieder mit dem Training.
War Ewald Lienen ein Rebell?
Ewald Lienen selbst empfand sich laut eigener Aussage nicht als klassischen „Rebellen“. Der Titel seiner Autobiografie sei eher provokant gewählt. Er sieht sich als jemanden, der seine Meinung vertritt und Haltung zeigt, auch gegen den Strom, was für ihn eine Bürgerpflicht ist.
Was ist Ewald Lienens Meinung zur Vermischung von Sport und Politik?
Ewald Lienen ist der festen Überzeugung, dass Sport und Politik immer miteinander verbunden waren und sein werden. Er kritisiert die Ansicht, man dürfe Sport nicht mit Politik vermischen, als ahnungslos und verweist auf zahlreiche historische Beispiele.
Ist Ewald Lienen noch beim FC St. Pauli?
Nein, Ewald Lienen hat den FC St. Pauli im Juni 2022 nach siebeneinhalb Jahren verlassen. Er war dort als Trainer, Technischer Direktor und zuletzt als Werte- und Markenbotschafter tätig.
Was macht Ewald Lienen zurzeit?
Nach seinem Abschied vom FC St. Pauli ist Ewald Lienen wieder in seiner Heimat Ostwestfalen ansässig. Er nutzt seine Popularität weiterhin, um für Werte einzutreten und hat unter anderem seine Autobiografie veröffentlicht.
Ewald Lienens Karriere war und ist geprägt von Einsatz, Überzeugung und einer klaren Haltung. Er bleibt eine wichtige Stimme im deutschen Fussball und darüber hinaus.
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