Was fällt unter Heimarbeit?

Heimarbeit: Mehr als nur Home-Office?

02/06/2020

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Wenn wir heute über flexibles Arbeiten sprechen, fallen oft Begriffe wie Home-Office oder Telearbeit. Doch es gibt eine traditionelle Form der dezentralen Arbeit, die eine lange Geschichte hat und sich in wesentlichen Punkten unterscheidet: die Heimarbeit. Ursprünglich durch Bilder wie die bindenden Mädchen in New York 1924 oder die Arbeit in Deesbach 1932 visualisiert, war Heimarbeit über Jahrhunderte hinweg eine prägende Arbeitsweise, lange bevor die Digitalisierung das Büro nach Hause brachte. Sie bezeichnet eine Arbeitsorganisation, bei der die Arbeitskraft ihren Arbeitsort selbst wählt – meist die eigene Wohnung oder eine andere selbstgewählte Betriebsstätte. Der Unternehmer stellt dabei in der Regel die Arbeits- und Produktionsmittel zur Verfügung, beauftragt bestimmte Aufgaben und erhält die Arbeitsergebnisse.

Was fällt unter Heimarbeit?
Heimarbeiter ist unter anderem, wer, ohne Gewerbetreibender zu sein, in eigener Wohnung oder selbst gewählter Arbeitsstätte im Auftrag und für Rechnung von Personen, die Heimarbeit vergeben, mit der Herstellung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Verpackung von Waren beschäftigt ist (§ 2 Nr. 1 HArbG).
Übersicht

Die historische Entwicklung der Heimarbeit

Die Geschichte der Heimarbeit ist eng mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung verbunden. Im Verlauf der Zeit trug sie wechselnde Namen wie Verlagssystem, Hausindustrie, Heimindustrie oder Hausgewerbe. Das Verlagssystem etablierte sich bereits um 1400, zunächst in Süddeutschland, inspiriert von französischen und italienischen Vorbildern. Hierbei gab ein Verleger, oft ein Kaufmann, Aufträge an Handwerker, die in ihren Wohnungen arbeiteten. Der Verleger streckte Rohstoffe vor (daher „verlegen“), nahm die fertigen Produkte ab und organisierte den Vertrieb.

Im 15. Jahrhundert trat in England die Hausindustrie auf, insbesondere in der Textilverarbeitung. Werner Sombart definierte die Hausindustrie als eine Betriebsform, bei der Arbeiter zu Hause beschäftigt sind, und setzte sie mit Heimarbeitern gleich. Seit 1882 wurde die Hausindustrie statistisch getrennt erfasst, angeführt von der Textilindustrie. Während 1850 noch 10 Prozent aller Beschäftigten in Heimarbeit tätig waren, sank dieser Anteil bis 1900 auf 2,7 Prozent, bedingt durch die zunehmende Industrialisierung und Fabrikarbeit.

Die Frühindustrialisierung sah zunächst eine Ausweitung des Verlagssystems, da viele ehemals selbstständige Handwerker Arbeit suchten und neue Arbeitskräfte das Weben aufnahmen. Arme Bauern waren gezwungen, Webstühle aufzustellen, um zu überleben. Karl Marx bezeichnete den Heimarbeitsbetrieb 1890 gar als „das auswärtige Departement der Fabrik“. Karl Bücher definierte 1895 das Verlagssystem als gewerblichen Betrieb, bei dem ein Unternehmer eine größere Zahl von Arbeitern außerhalb seiner Betriebsstätte in ihren Wohnungen beschäftigte.

Der Begriff „Heimarbeit“ setzte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch, als Gegensatz zur Fabrikarbeit. Die räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz war eine Folge der Industrialisierung und Urbanisierung. Mit der Zentralisierung der Produktion in Fabriken verschwand die Heimarbeit vielerorts oder blieb nur als Ergänzung erhalten.

Die Notwendigkeit, die Arbeitsbedingungen von Heimarbeitern zu verbessern, führte zu ersten Schutzmaßnahmen. 1904 fand der erste Heimarbeiter-Schutzkongress statt, bei dem eine Gleichstellung mit Industriearbeitern gefordert wurde. In Deutschland traten 1912 und 1939 erste Heimarbeitsgesetze in Kraft, gefolgt vom heute gültigen Heimarbeitsgesetz (HAG) im Jahr 1951.

Definition und Abgrenzung der Heimarbeit

Nach dem deutschen Heimarbeitsgesetz (HAG) liegt Heimarbeit vor, wenn jemand in einer selbstgewählten Arbeitsstätte (eigener Wohnung oder selbstgewählter Betriebsstätte) allein oder mit Familienangehörigen im Auftrag von Gewerbetreibenden oder Zwischenmeistern erwerbsmäßig arbeitet und die Verwertung der Arbeitsergebnisse dem Auftraggeber überlässt. Eine selbstgewählte Betriebsstätte kann auch ein fremder Arbeitsplatz oder ein Telecenter sein.

Ein entscheidendes Merkmal der Heimarbeit im rechtlichen Sinne ist, dass der Heimarbeiter kein Arbeitnehmer im klassischen Sinne ist. Der Grund dafür ist das Fehlen persönlicher Abhängigkeit und die nicht gegebene Einbindung in die Betriebsorganisation des Auftraggebers. Heimarbeiter können Arbeitsort und -zeit frei wählen. Typisch ist eine auf Dauer angelegte Tätigkeit, oft für mehrere Auftraggeber. Heimarbeiter können auch Hilfsarbeitskräfte (z. B. Familienangehörige) beschäftigen.

Die Abhängigkeit des Heimarbeiters vom Auftraggeber ist in erster Linie wirtschaftlicher Natur, nicht persönlicher. Das bedeutet, der Auftraggeber hat in der Regel kein Direktionsrecht über den Heimarbeiter hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort oder Art der Ausführung, solange das vereinbarte Ergebnis geliefert wird. Das Verhältnis unterliegt primär dem Auftragsrecht.

Heimarbeit versus Telearbeit und Home-Office

Umgangssprachlich werden Telearbeit und Home-Office oft als Heimarbeit bezeichnet, doch rechtlich und organisatorisch gibt es deutliche Unterschiede. Mit dem Aufkommen neuer Kommunikationstechnologien ab den späten 1980er Jahren entstanden Begriffe wie Telearbeit oder Home-Office, die andere Formen der dezentralen Arbeit beschreiben.

Telearbeit ist eine Variante der dezentralen Arbeit, die in der Regel von Arbeitnehmern ausgeführt wird, über die der Arbeitgeber ein Direktionsrecht ausübt. Der Arbeitsinhalt erfordert überwiegend Telekommunikation und die Nutzung von Informationstechnik. Bei der klassischen Heimarbeit nach HAG ist dagegen keine elektronische Anbindung an den Arbeitsplatz im Unternehmen zwingend erforderlich, und das Direktionsrecht des Auftraggebers ist stark eingeschränkt oder nicht vorhanden.

Home-Office bezeichnet meist eine flexible Arbeitsform, bei der ein Angestellter (also ein Arbeitnehmer) temporär oder regelmäßig von zu Hause aus arbeitet. Auch hier besteht ein Arbeitsverhältnis mit persönlicher Abhängigkeit und Direktionsrecht des Arbeitgebers. Die Grenzen zwischen Telearbeit und Home-Office sind fließend, aber beide unterscheiden sich fundamental von der rechtlichen Definition der Heimarbeit.

Ein Hausgewerbetreibender ist nach HAG ebenfalls eine Form der Heimarbeit, unterscheidet sich aber dadurch, dass er als Selbstständiger in eigener Arbeitsstätte im Auftrag arbeitet und auch mehr als zwei fremde Hilfskräfte beschäftigen kann. Auch er arbeitet für Rechnung von Auftraggebern.

Wirtschaftliche Aspekte der Heimarbeit

Heimarbeit bietet sowohl für die Arbeitskraft als auch für den Auftraggeber bestimmte wirtschaftliche Vorteile und Herausforderungen.

Für den Heimarbeiter entfällt der tägliche Arbeitsweg zur Betriebsstätte des Auftraggebers. Das spart Zeit und Fahrtkosten im Berufsverkehr. Dies kann die verfügbare Freizeit erhöhen und Verkehrsmittel sowie Verkehrswege entlasten.

Einige Untersuchungen legen nahe, dass die Arbeitsproduktivität bei Heimarbeit höher sein kann als am Arbeitsplatz beim Arbeitgeber. Dies wird oft damit erklärt, dass Störungen aus dem betrieblichen Umfeld entfallen, was die Arbeitskonzentration fördert. Allerdings kann die oft unscharfe Trennung von Arbeit und Privatsphäre zu Hause ebenfalls zu Störungen führen.

Für den Auftraggeber birgt die Heimarbeit geringere Risiken. Da Heimarbeiter oft streng auftragsbezogen beschäftigt werden, haben Unternehmer im Regelfall weder ein Lager-, Absatz- noch ein Beschäftigungsrisiko in gleichem Maße wie bei fest angestellten Mitarbeitern. Sie bezahlen für das Ergebnis, nicht für die Anwesenheit oder die Arbeitszeit.

Herausforderungen ergeben sich vor allem in der Kontrolle und Kommunikation. Die persönliche Kontrolle durch Vorgesetzte fehlt weitgehend, was Leistungsbeurteilungen erschweren kann. Auch die soziale Kontrolle unter Kollegen entfällt. Die Kommunikation muss überwiegend über Telekommunikationsmittel erfolgen, was den persönlichen Austausch reduziert.

Rechtliche Regelungen und Gleichstellungen

Die wichtigste Rechtsgrundlage für Heimarbeit in Deutschland ist das Heimarbeitsgesetz (HAG). Dieses Gesetz regelt die Bedingungen für Heimarbeiter und Hausgewerbetreibende.

Heimarbeiter sind mangels persönlicher Abhängigkeit keine Arbeitnehmer im Sinne des allgemeinen Arbeitsrechts. Dennoch hat der Gesetzgeber in vielen Bereichen Heimarbeiter den Arbeitnehmern gleichgestellt. Dies geschieht durch explizite Verweisungen oder Fiktionen in verschiedenen Gesetzen, wie dem Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG), Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) und Mutterschutzgesetz (MuSchG).

Der Kündigungsschutz für Heimarbeiter ist gesondert im HAG geregelt und beschränkt sich primär auf die Einhaltung von Kündigungsfristen durch den Auftraggeber, abhängig von der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses. Mitglieder eines Betriebsrats oder einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, die in Heimarbeit beschäftigt sind, genießen besonderen Kündigungsschutz nach HAG. Auch öffentlich-rechtlicher Kündigungsschutz gilt nur aufgrund gesonderter gesetzlicher Anordnung.

Wichtig ist auch, dass Heimarbeiter ihre Tätigkeit beim zuständigen Gewerbeamt anzeigen müssen. Dies dient der Überwachung durch die Arbeitsschutz- und Gewerbeaufsicht. Das Arbeitsentgelt von Heimarbeitern ist grundsätzlich lohnsteuer-, sozialversicherungs- und arbeitslosenversicherungspflichtig.

Internationale Perspektiven

Die Regelungen zur Heimarbeit variieren international:

  • Österreich: Das österreichische Heimarbeitsgesetz (HArbG) definiert Heimarbeiter ähnlich (ohne Gewerbetreibender zu sein, in eigener Wohnung/Arbeitsstätte im Auftrag tätig). Auftraggeber müssen schriftliche Aufzeichnungen über Arbeits- und Lieferbedingungen übergeben. Arbeitsstätten müssen bestimmte Sicherheitsstandards erfüllen. Historisch war Heimarbeit in Österreich stark in der Bekleidungsindustrie verbreitet, oft von Frauen ausgeübt. Die wirtschaftliche und soziale Lage verbesserte sich im 20. Jahrhundert, aber die Isolation erschwerte die Interessenvertretung.
  • Schweiz: Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich gelten Heimarbeiter in der Schweiz gemäß dem Heimarbeitsgesetz (HArG) von 2009 als Arbeitnehmer. Heimarbeit ist jede gewerbliche oder industrielle Hand- und Maschinenarbeit, die ein Heimarbeitnehmer gegen Lohn in seiner Wohnung oder einem anderen bestimmten Raum ausführt.
  • Niederlande: Die Niederlande gelten als erstes Land, das Arbeitnehmern einen Rechtsanspruch auf Heimarbeit eingeräumt hat. Seit 2016 können Arbeitnehmer beantragen, von zu Hause aus zu arbeiten. Arbeitgeber müssen eine Ablehnung begründen, z. B. mit Sicherheitsrisiken oder betrieblichen Problemen.

Diese Beispiele zeigen, dass die Definition und rechtliche Einordnung von Heimarbeit stark vom jeweiligen nationalen Recht abhängen.

Vergleich: Heimarbeit vs. Home-Office/Telearbeit

MerkmalHeimarbeit (nach HAG)Telearbeit / Home-Office
ArbeitsortSelbstgewählt (Wohnung, andere Stätte)Vom Arbeitnehmer/Arbeitgeber vereinbart (meist Wohnung)
Rechtlicher StatusKein Arbeitnehmer (Auftragnehmer)Arbeitnehmer
Persönliche AbhängigkeitNeinJa
Direktionsrecht AGStark eingeschränkt oder nicht vorhandenVorhanden
Einbindung in BetriebNeinJa
Beschäftigung HilfskräfteMöglich (Familie, bei Hausgewerbetreibenden auch externe)In der Regel nicht relevant
IT-AnbindungNicht zwingend erforderlichOft zentral für die Tätigkeit
Gesetzliche Grundlage (DE)Heimarbeitsgesetz (HAG)Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, allgemeines Arbeitsrecht
Wirtschaftliche AbhängigkeitJaJa (aber im Rahmen des Arbeitsverhältnisses)

Häufig gestellte Fragen zur Heimarbeit

Ist Heimarbeit das Gleiche wie Home-Office?

Nein, rechtlich und organisatorisch sind Heimarbeit und Home-Office unterschiedlich. Heimarbeit nach dem deutschen HAG beschreibt eine Tätigkeit, bei der kein klassisches Arbeitsverhältnis mit persönlicher Abhängigkeit und Direktionsrecht des Auftraggebers besteht. Home-Office hingegen ist eine Form der Arbeit, die von einem Angestellten (Arbeitnehmer) im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses von zu Hause aus geleistet wird.

Sind Heimarbeiter Arbeitnehmer?

In Deutschland und Österreich sind Heimarbeiter im Sinne des jeweiligen Heimarbeitsgesetzes prinzipiell keine Arbeitnehmer im klassischen Sinne, da die persönliche Abhängigkeit und die Eingliederung in den Betrieb fehlen. Sie sind eher als Auftragnehmer zu sehen. Allerdings werden sie in vielen Bereichen des Arbeitsrechts, wie Kündigungsschutz oder Sozialversicherung, Arbeitnehmern gleichgestellt. In der Schweiz hingegen gelten Heimarbeiter laut Gesetz als Arbeitnehmer.

Welche Gesetze gelten für Heimarbeit in Deutschland?

Die Hauptrechtsgrundlage ist das Heimarbeitsgesetz (HAG). Darüber hinaus sind Heimarbeiter in vielen anderen Gesetzen, wie dem Mutterschutzgesetz oder dem Bundesurlaubsgesetz, Arbeitnehmern gleichgestellt, was bedeutet, dass auch Teile dieser Gesetze anwendbar sein können, wenn dies explizit geregelt ist.

Muss ich meine Tätigkeit als Heimarbeiter anmelden?

Ja, in Deutschland müssen Heimarbeiter ihre Tätigkeit beim zuständigen Gewerbeamt anzeigen. Dies dient der behördlichen Überwachung.

Welche Vorteile bietet Heimarbeit für den Einzelnen?

Vorteile können der Wegfall des Arbeitswegs, Zeitersparnis, geringere Fahrtkosten und potenziell höhere Konzentration durch weniger betriebliche Ablenkungen sein. Auch die freie Wahl von Arbeitsort und -zeit wird oft als Vorteil empfunden.

Welche Nachteile hat Heimarbeit?

Nachteile können die oft unscharfe Trennung zwischen Arbeit und Privatleben, fehlende soziale Kontakte zu Kollegen, erschwerte Leistungsbeurteilung durch fehlende direkte Aufsicht und die Notwendigkeit der Selbstorganisation sein. Die wirtschaftliche Abhängigkeit kann ebenfalls eine Herausforderung darstellen.

Die Heimarbeit ist somit eine historische und auch heute noch relevante Arbeitsform, die sich deutlich von modernen Flexibilisierungsmodellen unterscheidet. Das Verständnis ihrer Besonderheiten ist wichtig, um die Vielfalt der dezentralen Arbeit zu erfassen.

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